NF 87: „Der Freiheit Wimpel weht am Mast“
Willy KATZENSTEIN: „Der Freiheit Wimpel weht am Mast“. Selbstzeugnisse eines westfälischen Juden zwischen Assimilation und Emigration. Eingeleitet und kommentiert von Johannes Altenberend, Bielefeld 2024, 679 Seiten, Festeinband, Abbildungen (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Neue Folge 87; 31. Sonderveröffentlichung des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg).
VRG, ISBN 978-3-7395-1523-6, Preis: 59,00 EUR
„Der Freiheit Wimpel weht am Mast“ – diese Verszeile hat Willy Katzenstein (1874–1951) Ende Mai 1939 während der Überfahrt ins englische Exil geschrieben. „Freiheit“ war im Leben des Bielefelder Rechtsanwalts, Lokalpolitikers und vielbeschäftigten Funktionärs jüdischer Organisationen ein zentraler Begriff. Das gilt sowohl für seine Einstellung zum Judentum als auch für seine liberaldemokratischen Positionen in sozialen und wirtschaftlichen Fragen. Sein Verständnis von Freiheit hat er in mehreren Selbstzeugnissen zum Ausdruck gebracht. Die in der Emigration in London geschriebene Autobiographie wie auch sein Tagebuch aus dem Ersten Weltkrieg sind eindrucksvolle Texte zur jüdischen Geschichte Westfalens. Sie erlauben tiefe Einblicke in die Gedankenwelt eines assimilierten Juden, der über sich selbst und die Lage der jüdischen Bevölkerung reflektiert. Als Repräsentant der westfälischen Synagogen-Gemeinden war Katzenstein 1933 an der Gründung der Reichsvertretung der deutschen Juden beteiligt. Seine engen Beziehungen zu jüdischen Organisationen in Berlin waren die Voraussetzung dafür, dass er Einrichtungen zur Selbsthilfe geschaffen und die Auswanderung vieler Jüdinnen und Juden ermöglicht hat. Im Kriegstagebuch berichtet er detailliert über seinen Dienst von September 1914 bis November 1918 an verschiedenen Orten im besetzten Belgien. Als national orientierter Jude rechtfertigt er die deutsche Kriegspolitik und das Besatzungsregime. In dieser Zeit blendet er seine Zugehörigkeit zur jüdischen Glaubensgemeinschaft nahezu völlig aus. Der Bearbeiter: Dr. Johannes Altenberend (geb. 1952 in Nieheim) unterrichtete Geschichte, Sozialwissenschaften und Religion an Bielefelder Gymnasien. Von 2004 bis 2019 war er Vorsitzender des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg. Zahlreiche Veröffentlichungen zur regionalen Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte.
Rezensionen
– Rosenland 30 (2024), S. 143–148 (Jürgen Hartmann)